Will den Platz auf Kölns Straßen neu verteilen: Christoph Schmidt vom ADFC auf dem Theodor-Heuss-Ring

»Viel hätte, könnte, sollte«

Christoph Schmidt vom ADFC über Radfahren in Köln, ein neues NRW-Fahrradgesetz und Biergärten auf Fahrradrouten

Herr Schmidt, zuletzt vermeldete die Stadt viele Verbesserungen für Radfahrende: Fahrradparkplätze, Schutzstreifen, Fahrradstraßen. Wird Köln zur Fahrradstadt?

Die Stadt macht viel und will das zeigen. Aber es wirkt lächerlich, wenn jede minimale Verbesserung mit einer Pressemitteilung gefeiert wird. Gleichzeitig nehmen wir mehr Gegenwind wahr. Menschen, die nicht Fahrrad fahren, bekommen den Eindruck, dass sich alles ums Fahrrad dreht. Man muss ihnen vermitteln: Weil 40 Jahre fast nur fürs Auto gebaut wurde, wird jetzt viel fürs Fahrrad gemacht.


Beim Fahrradklima-Test des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) ist Köln wieder Letzter unter den Großstädten.

Die Noten liegen in allen Großstädten zwischen drei und vier. Damit hätte man nicht von der Schule nach Hause kommen wollen — auch nicht als Klassenbester. Ein Grund für Unzufriedenheit in Köln ist, dass sich derzeit fast alles um die Innenstadt dreht. Wir haben neun Stadtbezirke, die bei der Rad-Infrastruktur berücksichtigt werden wollen. Menschen in Chorweiler, Porz oder Mülheim warten weiterhin auf konkrete Verbesserungen.


Seit Beginn der Corona-Zeit fahren mehr Menschen Rad. Sorgt das auch für Frust auf den Straßen?

Menschen, die umgestiegen sind, merken jetzt, wie schlecht die Stadt zum Radfahren geeignet ist. Zudem sind viele Eltern aufs Rad umgestiegen. Die haben einen anderen Anspruch an Infrastruktur als junge Männer, die sich durch den Autoverkehr kämpfen.


Hat Köln verkehrspolitisch zu spät auf Corona reagiert?

Köln hat gar nicht reagiert. In Berlin hat man Pop-up-Radwege geschaffen, um die Massen von neuen Rad-Pendlern abzubilden. In Köln hat man stattdessen einen Pop-up-Biergarten auf eine Fahrradroute am Rheinufer gesetzt.


Die bisherige Verkehrsdezernentin Andrea Blome, die nicht als Förderin des Radverkehrs galt, ist Stadtdirektorin geworden. Die Grünen schlagen ihre Nachfolge vor. Ein Wendepunkt in der Verwaltung?

Zumindest eine große Chance. Ich nehme Henriette Reker ab, dass sie davon überzeugt ist, dass wir mehr Radverkehr in Köln brauchen. Auch wenn es cool wäre, eine Oberbürgermeisterin zu haben, die selbst Fahrrad fährt. Neben der Leitung des Verkehrsdezernats wird bald auch die Leitung des Amts für Straßen und Verkehrsentwicklung neu vergeben. Ob diese Posten mit Personen mit einer Vision für die Mobilität in Köln besetzt werden, wird sehr entscheidend sein. Der Verwaltung fehlt ein Leitbild, stattdessen verwendet man viel Energie auf vorsichtige Klein-klein-Lösungen. Die Politik ist da oft schon weiter.


Ein Beispiel?

Die Riehler Straße zwischen Ebertplatz und Flora. Alle Parteien außer AfD und FDP sind sich einig, dass man dort keine sechsspurige Autostraße braucht. Wir plädieren für eine physisch abgetrennte Fahrradspur. Die Verwaltung sagt, dass die Fahrradspur durch Parkplätze und Zufahrten von Querstraßen zu oft unterbrochen würde, kommt aber nicht auf die Idee, die Parkplätze und Zufahrten wegzunehmen.


Warum tut man sich so schwer?

Es wäre unfair zu sagen, dass sich nichts tut. Es gibt Projekte, die vor zehn Jahren undenkbar waren. Für eine echte Verkehrswende brauchen wir aber mehr Mut und auch eine deutlich höhere Geschwindigkeit als die 40 Jahre, die in die Autogerechte Stadt investiert ­wurden.


Wie groß sind Ihre Hoffnungen auf die Grünen als stärkste Fraktion im Stadtrat?

Die Bündnisvereinbarung liest sich zwiespältig. Sie ist einerseits an vielen Stellen ambitioniert, andererseits unkonkret. Man möchte 50 Kilometer neue Radwege pro Jahr bauen, was mit einem Radweg gemeint ist, kann niemand beantworten. Ansonsten gibt es viele Absichtsbekundungen, etwa dass man an Hauptverkehrsstraßen Spuren an den Radverkehr abgeben möchte. Jetzt kommt die Diskussion das erste Mal auf…


...bei einer Pop-up-Radspur auf der Rheinuferstraße.

Genau. Und Grüne und CDU sind sich direkt uneinig.


Wie bewerten Sie die Situation?

Man sieht die Angst der CDU, Verkehrsraum ans Fahrrad abzugeben. Wir sprechen darüber, künftig nur noch fünf von sechs Fahrstreifen exklusiv dem Automobil zu überlassen. Der Radverkehr braucht am Rheinufer eine durchgehende Achse. Der Bereich vor dem Altstadtpanorama ist bedeutend für Touristen und Fußgänger. Die sollen sich nicht mit Radfahrern den Raum teilen müssen. Ein heraufbeschworener Konflikt! Wenn ich das Argument höre, dass im Jahr 50.000 LKW über die Rheinuferstraße vom Godorfer Hafen nach Niehl fahren, frage ich mich, was die in der Innenstadt zu suchen haben. Die müssen auf den Autobahnring.


Die NRW-Landesregierung hat den ersten Entwurf eines Fahrradgesetzes vorgelegt. Auch der ADFC war an der Volksinitiative, die das Gesetz forderte, beteiligt. Ein Schritt nach vorne?

Der Entwurf ist ein unkonkreter Hauch von Nichts. Das Ergebnis der Volksinitiative waren sieben Forderungen. Davon findet sich im Gesetz bestenfalls eine wieder. Wie viele Kilometer von welcher Infrastruktur wann und wo gebaut werden — davon steht da nichts. Stattdessen viel hätte, könnte, sollte.